03. Jan 2020

Mit Modularisierung und Dienstleistungsintensivierung zu Qualität entlang des gesamten Produktlebensweges

Innovative Smartphone-Hersteller gehen neue Wege

Jedes Jahr ein neues Smartphone, das alte landet in der Schublade. Nur jeder achte Bürger benutzt sein Smartphone länger als zwei Jahre, das zeigen Zahlen des deutschen Branchenverbands Bitkom – Und das, obwohl die Geräte noch funktionsfähig sind. Dabei hat die Produktion von Smartphones über den Lebenszyklus den größten Impact auf Umweltschäden und geht mit schlechten Arbeitsbedingungen einher. Während Konzerne im Milliardengeschäft Smartphone mit aufwendigen Inszenierungen ihrer Produkte um Kunden kämpfen, treiben kleine Pioniere einen Qualitätswandel voran.

Bild oben: Besucher können die Manufaktur für Shiftphones in Hangzhou (China) besichtigen ©Lin Shi

Smartphones sind ein bekanntes Beispiel für ein Produkt, das mit einer Vielzahl von Herausforderungen entlang des gesamten Lebensweges einhergeht. Die elektronischen Bauteile beinhalten Konfliktmineralien und seltene Erden, die Geräte selbst werden oft unter schlechten Arbeitsbedingungen gefertigt. Selbst wenn Smartphones ressourceneffizient designt sind, fördern die Hersteller durch ihre kurzen Innovationszyklen, dass Kunden häufig zu einem neuen Gerät wechseln. Die Geräte sind häufig nicht reparaturfähig und ein attraktives Reparaturangebot der Hersteller fehlt – das treibt die geringe Nutzungsdauer noch voran. Schwierig ist zudem die Wiedergewinnung der Materialien, da viele Smartphones ihren Lebensabend in Schubladen verbringen und Materialien sich nur teilweise recyceln lassen. Der innovative Hersteller Fairphone (Niederlande) hat 2013 die Industrie mit der Einführung des ersten fairen und später auch modularisierten Smartphones aufgeweckt. Nun folgen weitere europäische Hersteller.

Das Beispiel Shiftphones

Das noch junge Familienunternehmen Shift aus Hessen (Deutschland) bietet derzeit zwei Modelle der eigenen Shiftphones-Reihe im Onlinevertrieb an – weitere Modelle sind in Planung. Äußerlich sind Shiftphones nicht von konventionellen Smartphones zu unterscheiden und auch sie werden in China gefertigt.

Bild: Die Manufaktur für Shiftphones in Hangzhou (China) ©Lin Shi

Hier legt Shift den Fokus seiner Bemühungen auf die noch immer stark manuell geprägte Endfertigung der Geräte. Shift montiert exklusiv in einer eigens eingerichteten Manufaktur in Hangzhou (China), um bessere Arbeitsbedingungen umsetzen zu können.

Langlebigkeit als Teil des Geschäftsmodells

Im Gegensatz zu den etablierten Herstellern aus Übersee, zielt Shift insbesondere auf eine möglichst lange Nutzungsdauer der Geräte ab. Diese Langlebigkeit wird durch ein modulares Produktdesign ermöglicht und beim Design der Geräte wurden Reparaturstatistiken miteinbezogen. So können Nutzer häufig auftretende Reparaturen, wie beispielsweise einen Akkutausch oder eine Displayreparatur, selbst durchführen. Ein passender Schraubendreher ist im Lieferumfang enthalten. Unterstützung gibt es durch eigens vom Hersteller angefertigte Video-Anleitungen. Eine zusätzliche Modularisierung der Hauptplatine ermöglicht darüber hinaus komplexere Reparaturen durch Shift-Techniker. Das Produktdesign ist also zweistufig modular. Reparatur-Dienstleistungen, Ersatzteilverkauf und Upgrades sind Teil des Geschäftsmodells von Shift.

Lieferketten transformieren durch Modularität

Das modulare Produktdesign hat außerdem weitreichenden Einfluss auf die Lieferkette. Die Endfertigung in der kleinen Manufaktur wäre ohne das Baukastensystem nicht so leicht umsetzbar. Dort steht zwar auch ein Fließband, doch jeder Mitarbeiter beherrscht jeden Produktionsschritt und es wird häufiger durchgewechselt. Durch Steck- und Schraubverbindungen kommt die Endfertigung ohne Lötarbeiten und Chemikalien aus. Dies ermöglicht es auf Schutzausrüstung zu verzichten und schafft ein angenehmeres Arbeitsumfeld. Das Baukastensystem vereinfacht ebenso das Lieferantenmanagement, da Bauteile über Modellreihen hinweg kompatibel sind. In der schnelllebigen Technologiebranche sieht sich Shift durch das modulare Produktdesign aber auch einer Vielzahl von Trade-offs ausgesetzt. Längere Entwicklungszeiten führen zu schnell veralteten Bauteilen und für das eigene Design bedarf es bei vielen Bauteilen Sonderanfertigungen. Lieferengpässe bei Ersatzteilen können sich wiederum negativ auf die Lebensdauer auswirken. Um dennoch handlungsfähig zu bleiben, arbeitet Shift mit kleineren Lieferanten für Nischenprodukte zusammen. Doch es gibt auch Komponenten, bei denen auf den konventionellen Massenmarkt zurückgegriffen werden muss, wie zum Beispiel beim Hauptprozessor.

Geschlossene Produkt- und Materialkreisläufe

Einzigartig bei Shift ist außerdem das Pfandsystem, welches im Rahmen des Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones entwickelt wurde. Pro Gerät beträgt das Pfand 22 Euro, welches auch für defekte Geräte erstattet wird. Der Vorteil liegt auf der Hand: Kommen die eigenen Geräte wieder zurück zum Hersteller, können diese gezielter aufbereitet werden. Denn auch aus defekten Geräten lassen sich noch funktionsfähige Ersatzteile gewinnen, im Fachjargon „harvesting“ genannt. Dies ermöglicht geschlossene Produkt- und Materialkreisläufe und verringert die Abhängigkeit von Lieferanten, z. B. bei der Ersatzteilverfügbarkeit.

Der Beginn eines Wandels?

Als vergleichsweise kleiner Akteur ist der Handlungsspielraum von Shift natürlich eingeschränkt. So lässt sich die Produktion vieler größerer Zulieferer nicht beeinflussen. Dennoch findet auch im Volumenmarkt langsam ein Umdenken statt, denn auch Branchenriesen wie Apple setzen auf bessere Recyclingfähigkeit. Deren neuester Recyclingroboter „Daisy“ trennt zwar auch zerstörungsfrei in einzelne Module, ein dazu passendes Geschäftsmodell fehlt allerdings. Fairphone und Shift bieten als Pioniere am Markt Alternativen zu bestehenden Produkten und Dienstleistungen an – über ein ganzheitlicheres Geschäftsmodell, welches Produkte und Dienstleistungen systematisch als Einheit betrachtet. Hierfür wird die gesamte Geschäftslogik – auch Lieferketten und Produkt-Lebenszyklen – auf Sozial- und Umweltprobleme hin überprüft, mit dem Ziel Qualität über den gesamten Lebensweg sicherzustellen.

Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS)

Der Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS) wurde 2015 als Teil des von der Volkswagen Stiftung geförderten Transferprojektes eCoInnovateIT unter akademischer Leitung von Prof. Dr. Erik G. Hansen (Johannes Kepler Universität Linz) und Prof. Dr. Stefan Schaltegger am Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg gegründet. Im INaS entwickeln Akteure aus der gesamten Smartphone-Wertschöpfungskette gemeinsam zirkuläre Geschäftsmodelle. Die zweite Auflage der erfolgreichen INaS Workshopreihe wird vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Teil des Verbundprojektes MoDeSt (Produktzirkularität durch modulares Design – Strategien für langlebige Smartphones) gefördert und in Kooperation mit dem Fraunhofer IZM, der TU Berlin, der JKU Linz, sowie den Unternehmen AfB und Shift durchgeführt.

Kontakt

 

  • Ferdinand Revellio (MSc) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am CSM und Projektmanager des Innovationsverbundes Nachhaltige Smartphones. Als Universitätsassistent am IQD und in seiner Promotion an der JKU Linz forscht er an der Schnittstelle von Technik, Nachhaltigkeit und Management zu geschlossenen Produkt- und Materialkreisläufen in der Elektronikindustrie.
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Ansprechpartner Umwelt und Energie

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