10. Nov 2022

Nachbericht vom 16. qualityaustria Gesundheitsforum

Leadership-Strategien gegen den Personal­mangel im Gesundheits­wesen

Bild v.l.n.r.: Dr.med.univ. Günther Schreiber (Netzwerkpartner, Projektmanagement und Koordination Branche Gesundheitswesen, Quality Austria), Ing. Ingrid Blaimauer (Head of Operations, QMD Services), Dr. Eva Maria Kirchberger (Senior Teaching Fellow Enterprise & Innovation, Imperial College London),  © Anna Rauchenberger

Im Rahmen des 16. qualityaustria Gesundheitsforums in Wien wurden unter anderem Leadership-Strategien im Kampf gegen die Personalengpässe im Medizin- und Pflegebereich vorgestellt. Dr. Günther Schreiber, Gesundheitsexperte bei Quality Austria, verwies auf die Brisanz: 65 Prozent der Kündigungen im Sektor beruhen auf Konflikten mit Führungskräften. Aufgezeigt wurden auch die Risiken der Medizinprodukte-Verordnung und warum Österreich endlich wieder eine Benannte Stelle braucht.

„Ressourcen aktiv managen: Utopie vs. Wirklichkeit“, lautete das Motto des 16. qualityaustria Gesundheitsforums, das am 9. November im Ares Tower in Wien und online als Hybrid-Event stattfand. Derzeit kämpft fast der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich mit Personalmangel, wie Dr. Günther Schreiber, Branchenkoordinator für das Gesundheitswesen bei Quality Austria, anhand von Zahlen untermauert: „Obwohl sich pro Jahr in Österreich rund 10.000 Personen um einen Studienplatz an einer Medizin-Universität bewerben, können wegen Budget- und Ressourcenmangel nur rund 1.800 ein Studium beginnen. Zugleich gehen 2022 und 2023 rund 3.000 Ärztinnen und Ärzte in Pension, was das Problem weiter verschärft.“

Doppelt so viele Wahl- als Kassenärzt*innen

Laut Schreiber gibt es zudem derzeit bereits doppelt so viele Wahl- als Kassenärzt*innen, was unter anderem daran liegt, dass Kassenpraxen für das wirtschaftliche Überleben rund 800 bis 1.000 Patient*innen pro Quartal benötigen. In ländlichen Regionen ist das allerdings manchmal schwer zu erreichen. Hausapotheken in den Praxen könnten die Rentabilität verbessern, stoßen aber auf regulatorische Hürden, wenn sich eine Apotheke in einem bestimmten Radius befindet. Hinzu kommen unterschiedliche Finanzierungstöpfe aus Bund, Land, Gemeinden und Krankenkassen sowie der Mangel an flexiblen Arbeitszeitmodellen für Assistenzärzt*innen.

Das Beste aus den Mitarbeitenden herausholen

Ein wichtiger Hebel, um dem Personalmangel in Spitälern und Pflegeeinrichtungen entgegenzutreten, ist laut dem Gesundheitsexperten der Quality Austria professionelles Leadership.

Nachdem rund 65 Prozent der Mitarbeiter*innen aufgrund von Konflikten mit Führungskräften kündigen, plädierte Schreiber für ein Umdenken: „Wenn die Führung und die Zusammenarbeit im Team nicht passen, dann kündigen die Leute auch dann, wenn das Gehalt und die sonstigen Rahmenbedingungen gut sind.“ Managen bedeutet im Vergleich zu Leadership primär zu ordnen, zu strukturieren, zu planen, Maßnahmen um- und durchzusetzen. Leadership hingegen beinhaltet unter anderem auch gute Stimmung zu verbreiten und das Beste aus der Belegschaft herauszuholen.

Leadership bedeutet auch Verantwortung abzugeben

Dr. Eva Maria Kirchberger, Senior Teaching Fellow Enterprise & Innovation am Imperial College London, widmete sich dem Thema Agile Führung – auch „Servant Leadership“ genannt.

„Um die Mitarbeitenden so zu fördern, dass sie die besten Resultate erzielen, muss man Kontrolle abgeben. Das führt dazu, dass die Mitarbeiter*innen selbst motiviert sind und man sich auf ihren Einsatz verlassen kann“, so die Expertin. Die Aufgabe der Führungskräfte liegt dabei primär darin, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und gemeinsam mit dem Team Ziele zu definieren und Lösungen zu erarbeiten.

Agile Führung bedarf allerdings Menschen, die gerne andere coachen, die unternehmerisch eingestellt sind und ständig neue Möglichkeiten orten. Auf Firmenebene sind es solche Personen, die neue Visionen antreiben, Risiko nicht scheuen und gute Mitarbeiter*innen anwerben können.

Schattenseiten der Medizinprodukte-Verordnung

Ing. Ingrid Blaimauer, Head of Operations bei QMD Services, berichtete über die Auswirkungen der neuen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sowie der In-Vitro-Diagnostika-Verordnung (IVDR).

An diese Verordnungen müssen sich die Hersteller beim Inverkehrbringen von bestimmten Erzeugnissen in Europa halten, um die sogenannte CE-Kennzeichnung zu bekommen.

Blaimauer erklärt die Problematik: Die Umsetzung der Anforderungen ist schwierig bzw. wird oft unterschiedlich ausgelegt. Derzeit scheint es sogar so, dass MDR und IVDR die Versorgungssicherheit mit seit Jahren auf dem Markt befindlichen Medizinprodukten gefährden und Innovationen behindern, statt die Patient*innensicherheit zu verbessern.“

Vor allem KMU und junge Medizinprodukte-Hersteller können die hohen Anforderungen aus personellen oder finanziellen Gründen oft nicht erfüllen. Aber auch große Player straffen zusehends ihr Produktportfolio.

Seit 2016 ist Österreich ohne Benannte Stelle

Die Hersteller sind nicht nur gefordert, die gestiegenen Anforderungen der MDR/IVDR zu erfüllen, sondern sehen sich auch mit der Herausforderung konfrontiert, eine Benannte Stelle mit freien Ressourcen zu finden. Blaimauer skizzierte die Problematik: „Gemäß den neuen Verordnungen werden viele Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika höher klassifiziert und benötigen daher die Beteiligung einer Benannten Stelle, um auf den Markt gebracht zu werden bzw. um weiter am Markt zu bleiben. Aber genau diese Benannten Stellen sind der Flaschenhals in der Zulassung.“ Obwohl Benannte Stellen für den gesamten europäischen Raum zugelassen sind und nicht nur auf nationaler Ebene agieren, ist es sehr schwer eine entsprechende Organisation zu finden. und die Zulassung darüber hinaus extrem lang dauert. In Österreich gibt es bereits seit 2016 keine Benannte Stelle mehr – dies soll sich jedoch bald ändern. QMD Services steht derzeit im Zulassungsverfahren, um als Benannte Stelle für Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika tätig werden zu können. Leidtragende der langen Zulassungsverfahren sind unter anderem Patient*innen mit seltenen Erkrankungen oder auch Kinder, wenn diese spezielle Medizinprodukte benötigen.

Viel weiteres geballtes Know-how und Zukunftsperspektiven

Beim 16. qualityaustria Gesundheitsforum ging es in allen Vorträgen nicht nur um Denkanstöße für Verbesserungen, Fortschritte und positive Entwicklungen, sondern auch Diskussionen über Chancen auf Innovation, spannende Keynotes und Best Practices wurde viel Raum geboten.

Mag. Dr. Werner Paar, CEO der Quality Austria, eröffnete die Veranstaltung mit Worten zum aktuellen Status Quo sowie gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen, die auf das Gesundheitswesen zukommen.

Darunter u. a. die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gesundheit, die zunehmende Bedeutung von Digital Health sowie der Wunsch nach Individualisierung.

Corinna Mühlhausen, Trend- und Zukunftsforscherin, Zukunftsinstitut war sich sicher, dass wer Menschen für einen Beruf in der Gesundheitsbranche begeistern will, einen Mehrwert bieten muss: Die Arbeit muss besonders gemeinschaftsstiftend sein oder die*den Einzelnen im Bemühen um Selbstwirksamkeit unterstützen. Der Job muss die Chance bieten, sich persönlich immer weiterzuentwickeln und Neues dazuzulernen oder er muss im Einklang mit dem eigenen Bemühen um eine Balance aus Work-Life-Sleep auszuüben sein.

Marianne Fehringer, MAS, MSc, Auditorin, Trainerin, Netzwerkpartnerin, Quality Austria, ging in ihrem Vortrag näher auf die Betriebsorganisation im Gesundheitswesen ein. Darunter Einblicke in die aktuelle Pflegerealität sowie Handlungsempfehlungen für Gesetzgebung, Betriebsorganisation, Träger*innen und Führungskräfte sowie Pflegepersonal und den Hinweis, dass Pflegearbeit zutiefst sinnstiftend sei. Das sogenannte „Helpers High“ sei ein wichtiger Teil des „Zaubers, der gute Arbeit ausmacht“.

Dr. Andrea Vincenzo Braga, MBA, Vize-Präsident der Telemed Austria sowie CEO Bragamed GmbH beleuchtete das Prinzip der Telemedizin. Diese wird weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Grund- und fachmedizinischen Versorgung bleiben, wenn sie dies nicht ohnehin schon ist. Wichtig dabei: sowohl Plattformen als auch IT-Lösungen müssen mit der entsprechenden Qualität und Sicherheit ausgestattet sein.

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